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Konzertsaal-Orgeln der Werkstatt Klais

Von Philipp C. A. Klais

In der über 2000-jährigen Entwicklungsgeschichte hat die Orgel über Jahrhunderte nicht-sakrale Funktionen ausgeübt.

In jüngster Zeit erschien hierzu eine weitere Publikation: "Die römische Orgel aus Avenches/Aventicum" der vier Autoren Friedrich Jakob, Markus Leuthard, Alexander C. Voûte sowie Anne Hocholi-Gysel, bei der Association pro Aventico, CH-1580 Avanches, 2000.

 

Dieses Büchlein belegt erneut, wie sehr die Orgel von ihrem Ursprung her als profanes Instrument zum Musizieren in größeren Räumen, in der Arena und im Zirkus diente, aber auch das Musizieren im Theater und die häusliche Musikpflege mit beinhaltete.

 

Erst seit rund einem Jahrtausend wird die Orgel hauptsächlich als sakrales Instrument eingesetzt, wobei die profane Seite als höfisches Instrument z. B. auch zur Begleitung von Tänzen zu keiner Zeit verloren ging.

 

Im 19. Jahrhundert wird – ausgehend vom britischen Empire – die ursprüngliche Aufgabenstellung der Orgel als Instrument in großen profanen Räumen erneut aufgegriffen: Zahlreiche Town-Hall Instrumente, die über das ganze britische Empire verteilt in dieser Zeit entstanden sind, dienen heute als faszinierende Beispiele dieser Entwicklung. Das sind die jüngsten Wurzeln unserer heutigen Konzertsaalorgeln. Die englischen Beispiele fanden auch im deutschen Sprachraum Anklang: Die Konzertsaalorgeln der Orgelbauwerkstätten von Voit, Ladegast und Walcker, um nur wenige Beispiele zu nennen, belegen diese Tradition.

 

Betrachtet man das Werkverzeichnis der Werkstatt Walcker von 1890-1930, so kann sich einem der Eindruck aufdrängen, dass Walcker ein Monopol für Konzertsaalorgeln gehabt hat. Heute sind leider nur wenige dieser Instrumente unverändert erhalten: Viele von Ihnen fielen den Veränderungen des Zeitgeschmackes zum Opfer.

 

Interessanterweise lässt sich feststellen, dass Walcker gerade bei den frühen Instrumenten dieser Periode (bis ca. 1915) nur sehr sparsam Zungenstimmen disponierte, während er bei Kirchenorgeln vergleichbarer Größe bereits deutlich größere Zungenchöre (im Schwellwerk sogar schon mit der Bezeichnung Basson 16', Trompette harmonique 8', Hautbois 8', Clairon harmonique 4') zugrunde legte.

 

Die Orgelbauer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts translozierten nämlich keineswegs das sakrale Instrument Kirchenorgel in die weltlichen Räume: Von Anfang an wurde eine neue Orgelgattung, die Konzertsaalorgel, entwickelt.

 

Losgelöst von der Eingebundenheit in die liturgische Funktion muss die Konzertsaalorgel bis heute nicht nur, aber vor allem folgende Aufgabenstellungen erfüllen: 

  1. Das Zusammenspiel mit dem Orchester, welches gleichzeitig auch das Spiel gegen das Orchester implementiert.
  2. Das Zusammenspiel mit großen und kleinen Chören, die Begleitfunktion für die menschliche Stimme.
  3. Der Einsatz als Soloinstrument zur Darstellung eines breiten Spektrums der zur Verfügung stehenden Orgelliteratur (diese Aufgabenstellung war für die Walcker-Instrumente des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sicherlich nicht maßgeblich).
  4. Die besondere Eignung als Ausbildungsinstrument zum Unterricht junger Organistinnen und Organisten.
  5. Die besondere Ausrichtung auf zeitgenössische und im Idealfall zukünftige Orgelmusik.

Eine Schwierigkeit war und ist bei vielen dieser Konzertsaal-Orgelprojekte für den Orgelbauer gleichgeblieben: Planung und Konstruktion des Instrumentes müssen oftmals vor Fertigstellung des Konzertsaales durchgeführt werden. Lediglich Pläne des Architekten und Berechnungen des ausführenden Akustikers liegen vor. Die Räume sind, im Gegensatz zu vielen Kirchenprojekten, weder optisch noch akustisch erlebbar. Diese Schwierigkeit ist beispielsweise auch für die Ladegast-Orgel im Wiener Musikvereinssaal überliefert. Hier plante der Architekt zusammen mit dem Konzertsaal das Orgelgehäuse vor Fertigstellung des Raumes.

 

Bei vielen der auf diesen Seiten dargestellten Beispielen jüngerer Konzertsaalinstrumente unserer Werkstatt hat das fruchtbare miteinander "Streiten" von Architekt, Akustiker und Orgelbauer zu interessanten Synergien geführt. In das Kraftfeld zwischen den Herrschern des Konzertsaales, den Architekten und Akustikern, tritt im Bereich der Planung von Orgeln in Konzertsälen auch der Orgelbauer hinzu: Selbst weder Architekt noch Akustiker, dringt er mit seiner Arbeit, mit seinem Instrument in beide Bereiche tief ein. Die Orgel beansprucht Raum, Raumvolumen; sie beeinflusst die Akustik des Raumes und gestaltet den Raum.

 

Infolge dieser intensiven Abhängigkeiten zwischen Orgel und Raum ist es wichtig, den Prozess der Orgelgestaltung in die Konzeption des Raumes mit einzubeziehen. Hier haben wir Orgelbauer aufgrund unserer Erfahrung gewisse Vorstellungen. Folgende Voraussetzungen gehören zum Gelingen des Projektes:

1.  Ausreichender Raum

Unsere Erfahrung mit Orgeln in Konzertsälen hat ergeben, dass wir unsere Instrumente nicht in einer Kammer, nicht in einer Ecke, nicht in einem abgetrennten Raum,sondern direkt im Konzertsaal, im Idealfall an der Stirnwand, anordnen möchten.

 

Ausreichender Raum für optimale Mensuren und optimaler Platz zur Aussprache für jede einzelne Pfeife sind wesentliche Grundvoraussetzung. Uns erscheinen Orgelstandorte mit großzügiger Höhe, ausreichender Breite (im Hinblick auf mechanische Trakturen vermeiden wir in der Regel Orgelbreiten von mehr als 12 Metern) und richtiger Tiefendimensionierung (erfahrungsgemäß sind Orgeltiefen von mehr als 5-6 Metern für einen Konzertsaal ungünstig) ideal.

2.  Raumklang für tiefe Frequenz

Das Musikinstrument Orgel umfasst eine enorme Frequenzbreite, von 16 Hz bis zur Hörgrenze und baut seinen Klang von unten nach oben auf. Gerade den tiefen Frequenzen kommt eine besonders wichtige Bedeutung zu. Unser Wunsch an Architekten und Akustiker zielt auf Klangräume, die eine Infrastruktur für diese tiefen Frequenzen schaffen. Schwere Wände und Decken sind wünschenswert. Im unteren Frequenzbereich von 16 bis ca. 500 Hz wünschen wir Orgelbauer uns längere Nachhallzeiten, um den Orgelklang auf einem warmen, weichen und satten Fundament aufbauen zu können.

3.  Dispositionen mit einem breiten Grundstimmenspektrum

Aufgrund unserer Erfahrungen haben wir gelernt, dass eine wesentliche Voraussetzung einer guten Konzertsaalorgel in einem reich disposierten Grundstimmenbereich liegt. Vom leisesten 8' Erzähler bis zur Hochdruckflöte 8' und Stentorgambe 8', von der lyrischen Clarinet 8' über das Corno di Bassetto zur Tuba 8'. Vergessen werden darf dabei aber auch nicht der labiale 4' Bereich, wohingegen hier beim lingualen Bereich ein Verzicht durchaus eine Bereicherung darstellen kann. Alle höheren Stimmen sind im Hinblick auf Aufgabenstellung und Akustik sehr sorgfältig und sparsam auszuwählen. Wichtig ist es jedoch, allen Anforderungen an ein möglichst breites Spektrum darzustellender Musik gerecht zu werden, Instrumente mit klarer eigener Persönlichkeit zu entwickeln und nicht in Allem dem vielleicht auch gutgemeinten Universalorgelgedanken zu verfallen.

 

Für uns gibt es keine standardisierte Ideallösung einer Konzertsaalorgel. Jedes Instrument muss individuell für die musikalische, akustische und architektonische Konzeption des Raumes erkämpft werden. Im Rahmen der Zusammenarbeit haben wir gelernt, Orgelsachverständige, Akustiker und Architekten nicht nur als Spezialisten und Ingenieure, sondern als Künstler kennenzulernen, die – jeder auf seine Art - ganz individuell (Ton)Räume gestalten.

 

Aus dem sicherlich beschränkten Blickwinkel des Orgelbauers haben sich hierbei Konzertsaalkonzeptionen mit parallelen Seitenwänden in Form eines Schuhkartons als sehr günstig herauskristallisiert. Doch auch hiervon abweichende Lösungen können zu einem überzeugendem Ergebnis geführt werden.

 

Ein bekannter Architekt ließ sich, befragt nach der Zusammenarbeit mit einem ebenfalls sehr bekannten Akustiker, zu folgender Aussage hinreißen: "He is a man with four ears but no eyes."

 

Ergebnis der spannungsreichen und interessanten Zusammenarbeit zwischen den beiden ist einer der faszinierendsten Konzertsäle der Welt. Die Zusammenarbeit zwischen Orgelsachverständigen, Akustikern, Architekten und Orgelbauern führt dazu, dass vier Künstler mit insgesamt acht Augen und acht Ohren gemeinsam für die beste Lösung kämpfen. Als Orgelbauer traue ich mir kein Urteil darüber zu, wie diese Augen und Ohren auf Orgelsachverständige, Architekten, Akustiker und Orgelbauer verteilt sind.